Skip to main content

Der Berliner Senat hat am 22. Oktober 2019 den Entwurf für ein Landesgesetz zur Einführung eines Berliner Mietendeckels beschlossen. Der Senatsentwurf knüpft an den Koalitionsbeschluss vom 18. Oktober 2019 an und basiert inhaltlich im Wesentlichen auf dem Referentenentwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 2. September 2019 [siehe dazu unseren Newsalert vom September 2019] und den vom Senat am 18. Juni 2019 beschlossenen Eckpunkten zum Mietendeckel [siehe unseren Newsalert vom Juli 2019].

Der Senat hat den Gesetzentwurf inzwischen dem Rat der Berliner Bezirksbürgermeister zur Stellungnahme vorgelegt. Anschließend soll der Gesetzentwurf in das Berliner Abgeordnetenhaus eingebracht und in den parlamentarischen Ausschüssen beraten und verabschiedet werden. Es wird erwartet, dass das Gesetz vom bisherigen Zeitplan (Verabschiedung im Dezember 2019 und Inkrafttreten im Januar 2020) abweichend wohl erst im Februar 2020 verabschiedet und dann unmittelbar in Kraft treten wird. 
 
Die Regelungen des Senatsentwurfs – Eine Verschärfung des Referentenentwurfs
 
Durch den Senatsentwurf wurde der im September von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vorgelegte Referentenentwurf nochmals verschärft. Im Übrigen enthält er einige Präzisierungen und Ergänzungen. Nach dem Senatsentwurf soll der Mietendeckel wie folgt ausgestaltet sein:
 
Geltungsbereich

• Der Mietendeckel gilt in ganz Berlin und erfasst sämtliche Wohnraummietverhältnisse (einschließlich Einfamilien- und Reihenendhäusern, umfassend modernisierten und möblierten Wohnungen sowie Kurzzeit-Mietmodellen).

• Ausgenommen sind lediglich Neubauten (sofern erstmalig bezugsfertig ab 1. Januar 2014), öffentlich geförderter Wohnraum sowie Wohnheime bzw. Wohnungen öffentlich anerkannter Träger der Wohlfahrtspflege.

Regelungssystematik

Der Mietendeckel besteht weiterhin aus zwei zentralen Instrumenten: einem Mietenstopp und der Einführung von Mietobergrenzen.

• Mietenstopp: Mit Inkrafttreten des Gesetzes werden sämtliche Mieten in Bestandsverträgen auf dem Stand vom 18. Juni 2019 (oder dem letzten davor liegenden Vermietungsstand) eingefroren. Der Mietenstopp erfasst auch Index- und Staffelmieten sowie Mieterhöhungen auf die ortsübliche Vergleichsmiete. Ab dem Jahr 2022 ist ein jährlicher Inflationsausgleich vorgesehen, der höchstens 1,3% betragen soll. Den genauen Prozentsatz wird die Senatsverwaltung noch durch Rechtsverordnung festlegen.

• Mietobergrenze: Die Regelungen zur Mietobergrenze wurden modifiziert. Die Mietobergrenze ist aber weiterhin eine absolute Obergrenze und Bezugspunkt für Mietabsenkungen.

- Es gelten Obergrenzen zwischen 3,92 und 9,80 Euro pro Quadratmeter, die sich an den Mietspiegelwerten von 2013 (angepasst an die Reallohnentwicklung) orientieren. Die im Einzelfall anwendbare Mietobergrenze ist von der Baualtersklasse und Ausstattung (mit/ohne Sammelheizung bzw. Bad), nicht jedoch der Lage der Wohnung abhängig.

Für Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen (insbesondere Ein- und Zweifamilienhäuser) gilt ein Zuschlag von 10% auf die jeweilige Obergrenze.

Neu vorgesehen ist eine pauschale Erhöhung der Obergrenzen um 1 Euro pro Quadratmeter für Wohnungen mit moderner Ausstattung. Eine moderne Ausstattung liegt nach dem Senatsentwurf vor, wenn mindestens drei der folgenden fünf Kriterien erfüllt sind: (i) Aufzug, (ii) Einbauküche, (iii) hochwertige Sanitärausstattung, (iv) hochwertiger Bodenbelag und (v) geringer Energieverbrauchskennwert (weniger als 120 kWh/m² a).

Laufende Mietverhältnisse

• Mietenstopp: In laufenden Mietverhältnissen greift grundsätzlich zunächst nur der Mietenstopp. D.h. es muss hier keine Absenkung der Miete vorgenommen werden, sofern das Mietniveau vom 18. Juni 2019 (bzw. der letzte Vermietungsstand davor) nicht aufgrund zwischenzeitlicher Erhöhungen überschritten ist. 

• Mietabsenkung: Wird die Mietobergrenze um mehr als 20% überschritten, gilt die Miete als überhöht (auch als „Wuchermiete“ bezeichnet). Der Mieter kann dann nach Ablauf von neun Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes bei der Senatsverwaltung einen Antrag auf Mietabsenkung auf eine Miete in Höhe von 120%- der Mietobergrenze stellen (sog. Kappung). Dabei wird die Mietobergrenze abhängig von der Lage der Wohnung angepasst:

Bei guter Lage erhöht sich die Mietobergrenze um 74 Cent je Quadratmeter und bei mittlerer oder einfacher Lage wird die Mietobergrenze um 9 Cent bzw. 28 Cent je Quadratmeter verringert.

Die Zuordnung der Wohnungen zu einer bestimmten Wohnlage wird durch eine Rechtsverordnung festgesetzt. Es ist zu erwarten, dass diese Zuordnung sich an der gegenwärtigen Lage-Zuordnung nach dem Mietspiegel orientieren wird.

Erst- und Wiedervermietung

• Bei einer Erst- bzw. Wiedervermietung darf die neue Miete die Mietobergrenze und bei einer Wiedervermietung auch die ggf. niedrigere Stichtagsmiete nicht übersteigen. Dadurch kann es auch zu einer Unterschreitung der Stichtagsmiete (Vormiete) kommen. [Anm. Die Erstvermietungsfälle betreffen hier regelmäßig Umnutzungen nach dem 18. Juni 2019, nicht jedoch Erstvermietungen in Neubauten – auf diese findet das Gesetz keine Anwendung.]

• Bei Wohnungen, deren Miete am 18. Juni 2019 geringer als 5 Euro pro Quadratmeter war, darf die Miete bei der Wiedervermietung um max. 1 Euro auf bis zu 5,02 Euro pro Quadratmeter erhöht werden.

Modernisierungen

Die Regelungen des Referentenentwurfs wurden nochmals wesentlich verschärft:

• Modernisierungsmaßnahmen können grundsätzlich nur dann umgelegt werden, soweit sich die Miete dadurch um nicht mehr als 1 Euro pro Quadratmeter erhöht und die Mietobergrenze um nicht mehr als 1 Euro pro Quadratmeter überschritten wird. Darüberhinausgehende Modernisierungskosten, die zu einer Mietsteigerung von mehr als 1 Euro führen, können nicht umgelegt werden und sollen nur über vom Land Berlin neu aufzulegende Förderprogramme refinanziert werden können.

• Dabei sind Modernisierungskosten nur umlagefähig für Modernisierungsmaßnahmen, (i) zu denen die Vermieter gesetzlich verpflichtet sind, (ii) zur Wärmedämmung der Gebäudehülle, der Kellerdecke, der obersten Geschossdecke oder des Daches, (iii) zur Nutzung erneuerbarer Energien, (iv) zur energetischen Fenstererneuerung, (v) zum Heizanlagentausch, (vi) zum Aufzugsanbau oder (vii) zum Abbau von Barrieren.

• Die Mieterhöhung ist der Investitionsbank Berlin anzuzeigen. 

Härtefallregelung

• In besonderen, nicht vom Vermieter zu vertretenen Härtefällen kann die Investitionsbank Berlin auf Antrag des Vermieters eine höhere Miete genehmigen. Diese höhere Miete kann nach Genehmigung dann sowohl im laufenden Mietverhältnis als auch in allen folgenden Mietverhältnissen verlangt werden.

• Ein Härtefall liegt vor, wenn die Beibehaltung der Mietobergrenzen auf Dauer zu Verlusten für die Vermieter oder zur Substanzgefährdung der Mietsache führen würde. Die Gesetzesbegründung nennt als Beispiel vom Vermieter in Erfüllung einer Rechtspflicht getätigte Ausgaben, die durch die regelmäßigen Mieteinnahmen nicht refinanzierbar sind. Davon dürften insbesondere Modernisierungsmaßnahmen erfasst sein, zu deren Durchführung der Vermieter gesetzlich verpflichtet ist.

• Die praktische Handhabung dieser Härtefallklausel ist weiterhin unklar, der Senat will die Einzelheiten durch eine Rechtsverordnung konkretisieren.

Aufklärungspflichten

Vermieter sind verpflichtet, Mietern vor Abschluss eines neuen Mietvertrages unaufgefordert Auskunft über die für die jeweilige Wohnung zum 18. Juni 2019 geltende Miete zu erteilen sowie den Mietern Auskunft über die für die Berechnung der Mietobergrenze relevanten Kriterien zu geben. Diese Informationspflicht soll auch in laufenden Mietverhältnissen während der ersten zwei Monate ab Inkrafttreten des Gesetzes gelten.

Bußgelder

• Die Bußgeldvorschriften bleiben unverändert bestehen. Sanktionsbewehrt sind das Einfordern von Mieten jenseits der zulässigen Mietobergrenzen sowie die Verletzung von Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten. 

• Das Bußgeld kann im Einzelfall bis zu 500.000 Euro betragen.

Unsere Bewertung

Entgegen der öffentlichen Verlautbarungen wurde der Mietendeckel nicht entschärft, sondern verschärft:

• Durch die pauschale 120%-Grenze werden Mietabsenkungen in einer unabsehbaren Vielzahl von Fällen (nach eigener Einschätzung der Senatsverwaltung mindestens 150.000) neun Monate nach Inkrafttreten möglich.

• Weder bei der Bestimmung der Mietobergrenzen noch im Rahmen der Mietabsenkung wird eine Orientierung am Einkommen des Mieters vorgenommen. Vom Mietendeckel werden deshalb vor allem Besserverdienende profitieren.

• Der Mietendeckel ist wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin nach wie vor verfassungswidrig. Die bestehenden Regelungen des sozialen BGB-Mietpreisrechts, insbesondere zur Mieterhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete, zu Staffel- und Indexmieten und zur Modernisierungsumlage, sollen durch den Mietendeckel in Berlin außer Kraft gesetzt und durch eigene, schärfere Mietpreisvorschriften ersetzt werden. Mit dem Mietendeckel wird ein verfassungswidriges "Sonder-BGB" für Berlin geschaffen, das diametral dem bundesgesetzlichen Konzept des sozialen Mietrechts widerspricht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen solche konzeptionellen Entscheidungen des Bundesgesetzgebers von Landesgesetzgebern jedoch nicht verfälscht werden.

• Vieles spricht dafür, dass der Mietendeckel auch im Übrigen gegen das Grundgesetz verstößt. Insbesondere die zwangsweisen Mietherabsetzungen mit Bußgeldbewehrung dürften die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie und Vertragsfreiheit verletzen. Zudem nimmt der Gesetzentwurf weiterhin zwingend notwendige Differenzierungen nicht vor. So ist etwa keine Ausnahmeregelung für umfassende Modernisierungen vorgesehen und wird die Lage der Wohnung weiterhin nur unzureichend berücksichtigt. 

Ausblick

Nicht zuletzt aufgrund der jüngsten Verschärfung des Gesetzentwurfs ist zu erwarten, dass der Berliner Mietendeckel unmittelbar nach seinem Inkrafttreten vor den Verfassungsgerichten auf Bundes- und Landesebene angegriffen wird. Dazu stehen neben einem abstrakten Normenkontrollverfahren von mindestens 25% der Abgeordneten auf Bundes- oder Landesebene auch die individuelle Verfassungsbeschwerde und konkrete Normenkontrollverfahren im Rahmen künftiger zivil- oder verwaltungsgerichtlicher Streitigkeiten zur Verfügung.

Abhängig von der finalen Ausgestaltung und Begründung des Gesetzes sehen wir auch weiterhin Ansatzpunkte, den Mietendeckel im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bis zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit außer Kraft zu setzen.

Unsere Experten im Verfassungs- und Mietpreisrecht haben seit dem Frühjahr zahlreiche kritische Stellungnahmen zur Verfassungsmäßigkeit der Mietendeckelpläne veröffentlicht und Mandanten zu verfassungs- und compliancerechtlichen Fragen des Mietendeckels begleitet. Mit dieser Expertise stehen wir Ihnen auch weiterhin gerne zur Verfügung.

 

Dr. Christian Schede
Managing Partner
christian.schede@gtlaw.com
 +49 30 700171 120

Dr. Johann-Frederik Schuldt
Associate
johann.schuldt@gtlaw.com
 +49 30 700171 289